Nutzen von Virtual-Reality-Technologien in der Gesundheitswirtschaft
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Bochum, 24. April 2023. Sorgfältig rückt sie die übergroße Brille auf ihrer Nase zurecht. Wenige Sekunden später gleitet sie auf zwei Skiern über den Neuschnee. Mutig saust sie mit ihren Skistöcken in der Hand den Hang hinunter, legt sich in die Kurven, fliegt über Hügel. Mal geht sie dabei tief in die Hocke, mal macht sie aktive Hochbewegungen, mal kommen die Arme schwungvoll zum Einsatz, dann der gesamte Oberkörper. Doch Alina Napetschnig befindet sich nicht etwa auf der Piste im Skiurlaub, sondern in der Hochschule für Gesundheit (HS Gesundheit) in Bochum. Die märchenhafte Winterlandschaft, durch die sie fährt, ist eine Virtual Reality (VR) und Teil eines Prototyps, der im Forschungsprojekt Health Reality entwickelt wurde.
„In dem Forschungsprojekt haben wir untersucht, ob und wie Virtual-Reality-Technologien einen Nutzen für die Gesundheitswirtschaft haben können – etwa in der Prävention, der Therapie oder Rehabilitation. Unser Ziel als Hochschule war es, unser Gesundheitswissen zur Verfügung zu stellen und als Brücke die Kreativ- mit der Gesundheitswirtschaft zusammenzubringen, um gemeinsam Innovationen fürs Gesundheitswesen zu entwickeln“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Deiters. Der Professor für Gesundheitstechnologien an der HS Gesundheit hat das gut dreieinhalbjährige Projekt geleitet, Alina Napetschnig als Wissenschaftliche Mitarbeiterin maßgeblich an dem Forschungsvorhaben mitgearbeitet. „Virtual Reality meint eine computergenerierte Umgebung, mittels der eine virtuelle Welt geschaffen wird. Die Nutzer*innen setzen eine VR-Brille auf und tauchen in eine andere, eine virtuelle Welt ein“, beschreibt Alina Napetschnig.
Insgesamt drei prototypische VR-Anwendungen für den Gesundheitsbereich wurden in dem Projekt entwickelt. Die virtuelle Skifahrt von Alina Napetschnig ist eine der Anwendungen zur Bewegungsförderung. „Wir haben eine virtuelle Skilandschaft nachgebaut und in die Skifahrt physiotherapeutische Übungen zur Bewegungsförderung integriert. Unsere VR-Anwendung ‚Teamplay Quest‘ könnte als bewegte Pause im Berufsalltag bei all denjenigen eingesetzt werden, die eine überwiegend sitzende Tätigkeit haben. Die angeleiteten Bewegungsabläufe und Atemübungen während der Fahrt über die virtuelle Buckelpiste beschleunigen den Stressabbau und fördern die Ausgeglichenheit. Außerdem beugen die Übungen Verspannungen vor und trainieren die Muskulatur“, fasst Alina Napetschnig zusammen.
Eine andere Anwendung fokussiert die neurodegenerative Erkrankung Morbus Parkinson, die häufig von Muskelzittern begleitet wird. „Mittels eines Vibrationsmechanismus, der über zwei VR-Hand-Controller übertragen wird, könnten Angehörige nachempfinden, wie sich Betroffene im Krankheitsstadium des Muskelzitterns fühlen. Warum die Zeitung beim Lesen raschelt oder warum beim Anheben eines vollen Wasserglases mal etwas verschüttet wird“, beschreibt Alina Napetschnig.
Mittels Handtracking kann in einer virtuellen Realität auch mit den eigenen Händen mit virtuellen Objekten und Umgebungen interagiert werden. Alina Napetschnig: „Die VR-Brille verfolgt zum Beispiel über kleine Kameras die Bewegungen der eigenen Hände. Wir haben im Projekt einen dritten Prototyp entwickelt, in dem genau diese Funktion für ein virtuelles Erste-Hilfe-Training genutzt wird.“ In der VR-Anwendung sackt ein Patient plötzlich in sich zusammen. Aufgabe der VR-Anwender*innen ist es, schnell Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen.
Neben der Entwicklung eigener VR-Anwendungen wurde in dem Projekt eine interaktive Serviceplattform aufgebaut, die Health Reality Platform. „Wir haben uns als Hochschule angeschaut: Was gibt es auf dem deutschen Markt an gesundheitlichen VR-Anwendungen? Wo werden sie mit welchem Nutzen eingesetzt? Und wie lassen sich diese strukturieren? Nach unseren Vorstellungen zum Beispiel in Trainings-, Therapie- und Lernanwendungen. Unsere wissenschaftliche Marktanalyse haben wir den Projektpartner*innen, Expert*innen aus Kreativ- und Gesundheitswirtschaft, zur Verfügung gestellt, in Workshops gemeinsam über VR-Anwendungen, deren Inhalte und Nutzen in der Gesundheitsversorgung diskutiert und sie schlussendlich bewertet“, erklärt Wolfgang Deiters.
Das Votum: „Virtual Reality kann einen großen Mehrwert zur Verbesserung des Gesundheitswesens leisten, sowohl in der Prävention als auch in der Therapie und Rehabilitation“, bekräftigt der Wissenschaftler. „Einige Kliniken nutzen die Technologien zum Beispiel bei demenziell erkrankten Menschen, weil das Eintauchen in andere Welten sie beruhigt. Andere nutzen VR-Anwendungen, um bei Kindern vor medizinischen Untersuchungen Ängste abzubauen.“ Auch in der Physiotherapie würden VR-Anwendungen Erfolge zeigen: „Es gibt Patient*innen, die ihren Arm nur bis zu einer bestimmten Grenze schmerzfrei hochheben können. Spielt man ihnen eine VR-Anwendung vor, in der sie zum Beispiel Schmetterlinge fangen sollen, fokussieren sich manche Patient*innen derart stark auf die virtuelle Jagd, dass ihnen die Übungen im Zuge der Ablenkung nicht nur leichter fallen, sondern sie den Arm ohne Schmerzempfinden sogar noch höher heben“, weiß Alina Napetschnig.
Inhalte aus dem Projekt Health Reality vermittelt Prof. Dr. Wolfgang Deiters heute auch in seiner Lehre: „Ich halte es für wichtig, dass Studierende bei uns Wissen über Virtual Reality sammeln, weil ihnen neue Technologien in der späteren Berufspraxis entweder begegnen oder sie möglicherweise sogar selbst ihren Einsatz vorantreiben werden.“ Im Zuge des Forschungsprojektes wurde an der HS Gesundheit ein Showlabor aufgebaut. „Ein Experimentierraum, in dem wir neben unterschiedlichen VR-Brillen und Controllern eine Reihe an VR-Anwendungen aus dem Bereich Prävention, Therapie oder Rehabilitation vorrätig halten, die ausprobiert werden können. Expert*innen der Kreativ- und Gesundheitswirtschaft, vor allem aber auch unsere Studierenden sollen Virtual Reality in dem Lab erleben und beurteilen“, beschreibt Wolfgang Deiters. „Mithilfe eines VR-Medienwagens, den wir extra angeschafft haben, können wir VR-Brillen in der Lehre zum Beispiel auch zentral steuern, um zu gewährleisten, dass die Studierenden in einer VR-Anwendung alle an der gleichen Stelle sind.“
Der Professor sieht Virtual Reality im Bildungskontext auch als Lehrmedium, über das Wissen vermittelt und Fähigkeiten trainiert werden können: „Den Studierenden kann mittels Virtual Reality ein nahezu real wirkender Behandlungsfall vorgespielt werden, den sie bei uns in sicherer Umgebung trainieren. In einer VR-Anwendung fahren sie im Rettungswagen mit. Plötzlich verschlechtern sich die Vitalparameter des Patienten und die Studierenden müssen noch im Wagen handeln“, erläutert Wolfgang Deiters.
Auch eine Vortragsangst könnte bei Studierenden mit Hilfe einer VR-Anwendung abgebaut werden. „In der Anwendung tragen Studierende etwas vor und werden mit immer mehr Zuhörer*innen, die in den Raum eintreten, konfrontiert.“ Woran der Professor außerdem ganz aktuell mitarbeitet? „Aktuell entwickeln wir mit der Kreativwirtschaft eine VR-Anwendung für einen Escape Room, in dem die Studierenden Lernaufgaben bearbeiten müssen. Lösen sie die Aufgaben, kommen sie aus der VR-Anwendung wieder heraus. Wenn nicht, verlieren sie das Spiel, können aber ein weiteres Mal in den virtuellen Escape Room eintauchen.“
Origialmeldung:
https://magazin.hs-gesundheit.de/forschen-entwickeln/vom-hoersaal-in-winterliche-skilandschaft-eintauchen/
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