Digitales Trainingsprogramm für ältere Menschen im Quartier
Die Prognosen für den demografischen Wandel sind eindeutig: In den kommenden Jahren wird es immer mehr Menschen über 65 Jahre geben. Damit verbunden sind große Herausforderungen für die Gesellschaft und ihre Sozialsysteme, aber auch für viele Angehörige, die ihre Verwandten im Alter pflegen. Doch nicht alle älteren Menschen leben im Kreise ihrer Familie oder können sich Fremdbetreuung durch Pflegedienste leisten. Häufig übernehmen Nachbarn oder Freunde aus der Umgebung diese Aufgabe. Für diese Menschen wird das Wohnquartier zum zentralen Gesundheitsstandort.
Im besten Fall können sie dort ihren Alltag noch lange selbstständig bewältigen und ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten. Das soll bald eine App unterstützen. Sie ist Teil eines Trainingsprogramms, das die Hochschule für Gesundheit (HS Gesundheit) im Verbund mit der Hochschule Ruhr West erarbeitet. Der Name des Projekts ist Programm: „Quartier agil – Aktiv vor Ort“. Mit Übungen zum kognitiven und körperlichen Training, Angeboten für Gruppenaktivitäten, Kommunikationsforen und Funktionen zur Selbstkontrolle wollen die Forscherinnen und Forscher ältere Menschen fit halten.
Aktiv in Altenbochum
„Es geht uns darum, Seniorinnen und Senioren zu aktivieren, ihre Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit zu schulen und die soziale Teilhabe am Leben in ihrem Quartier zu stärken“, sagt Prof. Dr. Christian Grüneberg, Experte für Mobilität im Alter und Dekan des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften an der Hochschule für Gesundheit. Gemeinsam mit seinen Kollegen Prof. Dr. Sascha Sommer und Prof. Dr. Christian Thiel ist er für die inhaltliche Ausgestaltung des Programms verantwortlich. Dessen Übersetzung in eine entsprechende Software mit technischer Applikation für das Smartphone und weitere technische Komponenten liefert ihr Kollege Prof. Dr. Oliver Koch von der Hochschule Ruhr West.
Die Inhalte selbst sollen möglichst praxisnah sein. Welche Aktivitäten interessieren die älteren Menschen? Was motiviert sie? Was bringt sie zusammen? Und wo? Um das herauszufinden, suchte das HS Gesundheit-Team zunächst ein beispielhaftes Wohnviertel als Versuchsplattform aus. Altenbochum, ein Stadtteil nahe dem Bochumer Zentrum, eignete sich hierfür besonders gut, „da dort viele ältere Menschen leben und die soziodemografischen Gegebenheiten repräsentativ sind“, begründet Grüneberg die Wahl.
Teilhabe gestalten
Nun möchte das Forscherteam die Orte im Quartier identifizieren, die häufig besucht werden, und sie in einer entsprechenden Kartografie eintragen. An den Überlegungen, welche Orte das sein könnten, beteiligen sich auch Vertreterinnen und Vertreter der Zielgruppe selbst. „So werden die älteren Menschen bereits zu Beginn des Projekts aktiviert und setzen sich mit der Frage auseinander, wie das soziale Miteinander im gemeinschaftlichen Alltag gestärkt werden kann“, sagt Grüneberg. Den Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern Altenbochums stellten die Diakonie Ruhr und das Bochumer Sozialdezernat her. Beide sind ebenfalls Partner des Verbundprojekts.
Auf der Grundlage dieser Informationen will das Forscherteam dann verschiedene Aktivitäten planen, die Bewegung, Kommunikation sowie kognitive Fähigkeiten wie Erinnerung, Gleichgewichtssinn oder Orientierung anregen. „Zum Beispiel eine Gruppenwanderung zu einem bekannten Ausflugsziel“, überlegt Grüneberg. Den Termin soll die App ankündigen, auf der Wanderung können sich die Teilnehmenden bewegen und austauschen. Am Ziel angekommen, gibt es einen Vortrag mit anschließendem Wissensquiz. Denkbar wären auch angeleitete Tanzstunden, der Blick hinter die Kulissen eines regionalen Betriebs oder gemeinsames Kochen mit vitalen Zutaten vom Wochenmarkt. Über die App sollen die Nutzerinnen und Nutzer auch sehen können, ob sich Bekannte aus dem Viertel ebenfalls zu einer Aktivität angemeldet haben oder gerade eine Unternehmung machen. Im Verlauf einer Woche werden den einzelnen Teilnehmern über das Smartphone weiterhin Tagesaufgaben zur Anregung kognitiver und körperlicher Betätigungen zugesendet. Später betrachten die Forscherinnen und Forscher, welche konkreten Auswirkungen das Trainingsprogramm auf die Gesundheit und die Lebensqualität der Zielgruppe hat.
Praktisch und nachhaltig
Ebenso wichtig wie die Inhalte ist die Nutzerfreundlichkeit des Produkts. „Es bringt am Ende niemandem etwas, wenn die App inhaltlich gut ist, die älteren Menschen aber Schwierigkeiten mit der Bedienung haben“, so Grüneberg. Deshalb soll die Anwendung möglichst intuitiv und einfach aufgebaut sein.
Im Sommer 2017 wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Erkenntnisse aus dem ersten sechsmonatigen Durchlauf auswerten und das Programm nachjustieren, bevor es ein zweites Mal durchgeführt wird. In zwei Jahren soll alles ausgereift sein. Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen will das Projektteam dann in ein Durchführungs-Manual übersetzen. „So können auch andere Quartiere, Städte oder Regionen Trainingsprogramm und App nutzen und ältere Menschen unterstützen, in ihrem Quartier gemeinsam körperlich und kognitiv fit zu bleiben.“
Kontakt
Hochschule für Gesundheit
Quartier agil – Aktiv vor Ort
Prof. Dr. Christian Grüneberg
+49 (0)234 77727 620
christian.grueneberg@hs-gesundheit.de
Weitere Informationen
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/
Text
Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm