Mehr Lebensqualität durch zerebrale Computersteuerung
Sprechen, ohne den Mund zu bewegen, den Ort eines Festes begehen, ohne physisch anwesend zu sein, einen Lichtschalter betätigen, allein durch die Kraft der Gedanken. All das kann es geben mit Hilfe sogenannter Brain-Computer Interfaces (BCI). Das sind spezielle Gehirn-Maschine-Schnittstellen, die eine Verbindung zwischen dem menschlichen Gehirn und einem Computer herstellen. Aktuell werden sie vor allem zur Unterstützung körperlich beeinträchtigter Menschen eingesetzt – beispielsweise bei der Verwendung von Prothesen oder Sprachcomputern, um Befehle des Gehirns an die ausführenden Medien zu kommunizieren.
Doch dabei soll es nicht bleiben. Mit der richtigen Technik könnte diese Form der „Gedankenübertragung“ auch andere Assistenzsysteme steuern und Menschen höheren Alters oder mit anderen Einschränkungen mehr Selbst-ändigkeit ermöglichen. Daran arbeiten Prof. Dr.-Ing. Ivan Volosyak, Professor für Biomedizin und Engineering, und sein Forscherteam von der Hochschule Rhein-Waal. Im Rahmen ihres Forschungsprojekts „BCI@home“ entwickeln sie spezielle BCI-Technologien, die für möglichst viele Menschen anwendbar sind. Denn das größte Problem bei der Mensch-Maschine-Kommunikation ist derzeit noch, dass sie nicht bei jedem funktioniert.
Gedanken übersetzen
BCIs basieren auf der Beobachtung, dass bereits die Vorstellung eines Verhaltens messbare Veränderungen der elektrischen Hirnaktivität auslöst. Diese Aktivität kann über ein Elektroenzephalogramm (EEG) an der Kopfoberfläche gemessen, mit Rechnern analysiert und in Steuersignale für diverse Anwendungen umgewandelt werden. Da die Messungen auf der Kopfhaut nur eine eingeschränkte Genauigkeit haben und so das BCI die Zahl der Befehle nicht immer zuverlässig unterscheiden kann, verstärken Forscher die Hirnaktivität durch bestimmte Sinnesreize. Das sind zum Beispiel akustische Signale, Vibrationen oder visuelle Stimulationen, sogenannte Steady State Visual Evoked Potentials (SSVEP).
Eine Frage der Frequenz
Diese SSVEPs haben Volosyak und seine Kolleginnen und Kollegen in einer neuen BCI-Software verarbeitet und in einer groß angelegten Studie getestet. Ihr Ziel war es, die Mensch-Maschine-Kommunikation für möglichst alle Probandinnen und Probanden zu gewährleisten. Über Elektroden wurden 61 Personen mit einem Sprachcomputer vernetzt, den sie allein durch Gehirnaktivität steuern sollten. „Auf einem Bildschirm haben wir die Buchstaben des Alphabets in kleinen, unterschiedlich hellen Feldern angezeigt, alle also mit einer anderen Lichtfrequenz“, erklärt Volosyak. Wenn die Retina des menschlichen Auges angeregt wird durch eine visuelle Stimulation zwischen 6 und 75 Hertz, generiert das Gehirn elektrische Aktivität in derselben Frequenz. Auf diese Weise konnten die Personen allein durch ihren Blick auf das jeweilige Buchstabenfeld über das EEG differenzierte Befehle an den Sprachcomputer geben, der dann für sie einen ganzen Satz schrieb.
„Da jeder Mensch unterschiedlich auf Frequenzen reagiert, haben wir die BCI-Software so entwickelt, dass sie die Frequenzzuordnung auf jeden Probanden und jede Probandin individuell einstellt“, sagt Volosyak. „So haben wir eine Erfolgsquote von 100 Prozent erreicht. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben es am Ende geschafft, den Satz zu schreiben.“
Gedacht für den Alltag
In den kommenden zwei Jahren wird es nun darum gehen, den Zeitaufwand des Schreibens – manche Testpersonen benötigten bis zu 90 Minuten – und weitere Anwendungsgebiete für die neue Technologie zu erschließen. Wichtig ist Volosyak und seinem Team, dass ihre BCI-Lösungen alltagstauglich sind und sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, denen sie zu mehr Lebensqualität verhelfen sollen.
Das fängt beim Design an und hört beim Befehle umsetzenden Medium auf. Die EEG-Elektroden-Kappe beispielsweise, die zur Messung der Hirnaktivität eng auf der Kopfhaut aufliegen muss, mögen laut Volosyak viele Probanden nicht, weil sie ihre Frisur zerstört. Für eine länger währende Anwendung ist sie daher unbrauchbar. Mobile Mini-Elektroden könnten sie ersetzen, die in kleiner Anzahl, unter den Haaren versteckt, ihre Signale über Bluetooth oder Wifi an den Computer senden. Denkbar sind auch Baseballkappen oder Kopfhörer, in denen die Elektroden angebracht sind. Bei den ausführenden Medien tüfteln die Wissenschaftler an einem Roboter, der, mit Kameras ausgestattet, gelähmten oder gehbehinderten Menschen im positiven Sinn als persönliche Drohne dienen kann.
Kommunikation ermöglichen
Egal welche Innovationen in den nächsten Jahren auf den Markt kommen, eines sollten sie alle können: „Den Menschen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen eine ganz normale Kommunikation ermöglichen und so ihre Selbstständigkeit fördern“, sagt Volosyak. Die Gedanken sind frei – aber BCIs können helfen, sie zu erraten.
Kontakt
Hochschule Rhein-Waal
BCI@Home
Prof. Dr. Ivan Volosyak
+49 (0)2821 80673 643
ivan.volosyak@hochschule-rhein-waal.de
Weitere Informationen
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/
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Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm