Innovatives Design macht komplexe Produktion leichter steuerbar
In einer modernen Fertigungshalle von heute arbeiten Mensch und Maschine gemeinsam an der Industrie von morgen. Während elektronisch gesteuerte Geräte Werkstücke abschleifen, Schweißnähte polieren oder komplexe Bauteile zusammensetzen, bedienen Facharbeiterinnen und Facharbeiter abwechselnd Computer und Anlagen, führen Werkzeugwechsel durch oder überwachen auf Monitoren alle Prozesse in Echtzeit.
Stellt man sich den besten Fall vor, funktioniert diese Zusammenarbeit so reibungslos, dass Produkte in jeder Variante und Stückzahl hochwertig und effizient hergestellt werden können. In Wirklichkeit kommt es jedoch trotz hohem Automatisierungsgrad, gut geschultem Personal und neuster Technik immer wieder zu Verzögerungen. Das liegt auch an Unschärfen im Datenmaterial, die entstehen können, wenn beispielsweise manuell in einen geplanten Prozess eingegriffen wird oder aussortierte Fehlchargen die Produktionszeit unerwartet verlängern. Überlastung bei der einen Maschine, Stillstand bei der anderen sind mögliche Folgen. Das kostet Zeit und Geld.
Vorausschauend optimieren
„Verzögerungen passieren einfach, die kann man nicht immer voraussehen“, sagt Prof. Eva Vitting von der FH Aachen. Um trotzdem Planungssicherheit und Termintreue zu erreichen, sei es wichtig, Realität und Plan stets abzugleichen. Nur wenn alle Daten der aktuellen Realität entsprechen, können digitale Systeme ihre künstliche Intelligenz einsetzen, um den Menschen effizient zu unterstützen. Ein gelungenes Teamwork von Mensch und Maschine will die Professorin für Gestaltungslehre und angewandte Farbgestaltung ermöglichen – mit innovativer Software und einer ganz neuen Perspektive.
Gemeinsam mit ihrem Team vom Fachbereich für Gestaltung hat Vitting eine iPad App mit infografischen Darstellungen erarbeitet. Sie erfassen hochkomplexe Abläufe in der Industrieproduktion und bilden diese mit einem leicht verständlichen Zeichensystem so ab, dass Nutzer intuitiv erkennen können, welche Maschinen ausgelastet sind, wo ein Problem in der Produktionskette liegt und welche alternativen Handlungsmöglichkeiten es gibt. Dahinter steht ein Computerprogramm des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen. Es lädt die relevanten Live-Daten aus dem Produktionssystem, gleicht diese mit der aktuellen Auftragsplanung ab und berechnet, wie unter den gegebenen Umständen effizient produziert werden kann.
Zeichen setzen für mehr Übersicht
„ProSense“ heißt das Projekt, an dem sich mit der FH Aachen und der RWTH insgesamt zwölf Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft beteiligen. Sie alle liefern unterschiedliche Bausteine für ein intelligentes Unterstützungssystem, das die Kernfähigkeiten von Mensch und Maschine optimal zusammenbringen will. Ziel der infografischen Aufbereitung von Vittings Team ist es, durch die Übersetzung aller Werte in visuelle Variablen eine übersichtliche Anzeige mit intuitiver Ansprache zu schaffen.
In der Umsetzung ergibt sich aus diesem Anspruch ein Interface mit eingängigen Zeichen, zum Beispiel für Maschinen und Manpower, mit schraffierten Feldern und Farbmustern, die unterschiedliche Produktionszustände anzeigen. Der Nutzer soll so in die Lage versetzt werden, den Status quo schnell und umfänglich zu erfassen und weitsichtig Maßnahmen einzuleiten. Die Visualisierung zeigt dem Menschen die zur jeweiligen Fragestellung relevanten Produktionszahlen auf einen Blick. Die App schlägt Schritte zur Optimierung der Abläufe vor, der Mensch wägt ab und entscheidet, welchen Vorschlag er in die Tat umsetzen will.
Gestaltung von Anfang an
Wichtig war Vitting vor allem, dass ihr System aus Farben, Mustern, Piktogrammen und Zeichen eindeutigen Inhalten zugeordnet ist. Je heller ein Maschinenfeld auf dem Bildschirm leuchtet, desto zentraler ist die Funktion der Maschine im Produktionsprozess, je dichter die Schattierung, desto höher die Beanspruchung. „Bislang gibt es hier leider keine einheitlichen Standards“, sagt Vitting. „Fertigungssteuerer arbeiten derzeit mit bis zu sechs verschiedenen Tools gleichzeitig und jedes Softwareprodukt visualisiert die relevanten Werte anders.“ Darunter leide die Benutzerfreundlichkeit und es brauche lange Einarbeitungszeiten. Dies sei auch vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels nicht mehr zeitgemäß.
Die Umrüstung auf Industrie 4.0 könnte reibungsloser verlaufen, wenn von Anfang an Informationsdesigner in die Visualisierung von Steuerprozessen einbezogen würden, glaubt Vitting. „Gestalter haben ein größeres Repertoire an visuellen Ausdrucksmöglichkeiten, um möglichst viele Informationen intuitiv erfahrbar zu machen.“ Und das vereinfache die Anwendung. In der automatisierten Produktion gibt es viele Szenarien, die davon profitieren könnten. Denn eins ist sicher: Die Mensch-Maschine-Interaktion wird im Kontext zukunftsweisender Industrieproduktion immer komplexer. Ob sie dadurch auch schwieriger werden muss, ist mit ProSense eine Frage der Perspektive.
(Text: Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm)
Kontakt
FH Aachen
ProSense
Prof. Eva Vitting
+49 (0)241 6009 51517
vitting@fh-aachen.de
Weiterführende Links
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/
Der Artikel ist zuerst in unserer Publikation „Gesellschaft & Digitalisierung – Lebens- und Arbeitswelten von morgen“ erschienen. Entdecken Sie hier weitere Artikel aus der Publikation.