Notfallsanitäter trainieren in der virtuellen Realität
Ein Bienenstich, der Verzehr bestimmter Lebensmittel oder auch die Einnahme des falschen Medikaments können zu einem allergischen Schock führen. Schnelle und sachkundige Hilfe ist dann überlebenswichtig. Um diese kompetent leisten zu können, trainieren angehende Notfallsanitäter den Ernstfall in aufwendigen Simulationsumgebungen und üben an Puppen oder Schauspielpatientinnen und -patienten. Das macht sie fit für den späteren Einsatz an Erwachsenen. Ein allergischer Schock bei Kindern ist jedoch wesentlich schwieriger zu behandeln – und zu proben.
Das soll sich durch das Projekt „EPICSAVE“ der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg ändern. Am Institut für Visual Computing entwickeln Dr. Jonas Schild und seine Forschergruppe eine neue Ausbildungsmethode für angehende Notfallsanitäter, die digitale Spielmethoden mit virtuellen Umgebungen kombiniert. Auf diese Weise können seltene Notfallsituationen nachgestellt und eingeübt werden.
Ernsthaftes Erleben
„Ein allergischer Schock bei Kindern ist immer lebensbedrohlich, kommt aber nur in 0,5 Prozent der Lehrfahrten während der Ausbildung vor“, sagt Schild. Passiere ein solcher Notfall dann aber im späteren Einsatz, müssten die Rettungssanitäter unter Stress alles richtig und präzise durchführen. Das sei eine große Herausforderung. Deshalb sei es wichtig, dass sie den Einsatz vorher gut geübt hätten. „Viele der Sanis sind recht jung, haben selbst noch keine Kinder und können beispielsweise deren Gewicht oft nicht einschätzen.“ Dieses sei aber entscheidend für die Dosierung der Medikamente. Auch die Beruhigung der Eltern verlange viel Erfahrung von den Einsatzleuten.
EPICSAVE will den anaphylaktischen Schock beim Kind daher virtuell erlebbar machen. Dazu verwendet das Projektteam Methoden von Serious Games, digitalen Computerspielen mit ernsthaftem Hintergrund. Ziel dieser Spiele ist es, Information und Bildung zu vermitteln und gleichzeitig unterhaltsam zu sein. „Spielen an sich beinhaltet immer eine Eigenmotivation“, sagt Schild. Sobald eine Aufgabe ins Spiel kommt, beeinträchtigt sie seinen freien Charakter. „Wir wollen aber das Freie behalten, das Ausprobieren, Fehler machen und auch mal lachen können, und es mit dem Lernen verbinden.“
Zwei Komponenten
Erreichen will Schild das über zwei Komponenten. Zum einen können die angehenden Notfallsanitäter an einem Tablet einen Fall durchspielen und dabei verschiedene Handlungsabfolgen trainieren. Das geschieht auf Zeit. Währenddessen müssen sie immer wieder auf unvorhergesehene Dinge reagieren wie einen Stromausfall, Ausfall von Equipment oder überraschendes Verhalten der Spielcharaktere. Zum anderen erleben die Auszubildenden ein Notfallszenario durch eine VR-Brille. Diese projiziert ein dreidimensionales Szenario in das Sichtfeld des Akteurs und versetzt ihn somit mitten ins Geschehen. „Das Programm zeigt dann ein virtuelles Kind mit spezifischen Symptomen“, so Schild. Über digitale Controller an den Händen werden Handbewegungen in die virtuelle Welt übertragen. Der Proband oder die Probandin kann agieren, Instrumente aufnehmen, anwenden, dem Kind helfen. Über eine Analyse von Kopf- und Blickrichtung zeichnet die Brille darüber hinaus auf, worauf der Akteur seine Aufmerksamkeit richtet und wovon er oder sie vielleicht abgelenkt wird. Das kann bei einer späteren Auswertung der Leistung helfen. Insgesamt soll die Ausbildung durch Tablet und Brille nicht nur seltene Szenarien erprobbar machen, sondern das Lernen auch kurzweiliger und effektiver gestalten.
Gemeinsam für verbesserte Ausbildung
Damit diese Vorstellung kein Zukunftsszenario bleibt, arbeitet die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg mit verschiedenen Projektpartnern zusammen, darunter das Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern, der Malteser Hilfsdienst, die Akademie für Notfallmedizin in Hamburg sowie TriCAT, ein Entwickler von Serious Games. Schild und sein Forscherteam vom Institut für Visual Computing sind für die Projektleitung und die medientechnische Forschung verantwortlich. Derzeit untersuchen sie, wie man sich am einfachsten in der virtuellen Realität bewegen kann, wie man welche Elemente nutzt und wie all das mit den Zielen der Ausbildung verknüpft werden kann. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
In den nächsten fünf Jahren, so schätzt Jonas Schild, wird sich auf dem Gebiet der virtuellen Lernspiele à la EPIC-SAVE einiges tun. Bestenfalls könnten dann neben dem anaphylaktischen Schock bei Kindern auch andere seltene Notfallszenarien mit Tablet und VR-Brille erlernt und geprobt werden. „Für die Ausbildung zum Rettungssanitäter und alle, die irgendwann mal deren Hilfe brauchen, wäre das ein Gewinn.“
Kontakt
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
EPICSAVE
Dr. Jonas Schild
+49 (0)2241 865 712
jonas.schild@h-brs.de
Weitere Informationen
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/
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Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm