Interaktive Puppen sollen Pflegebedürftige im Alltag unterstützen
Mit ihrem krausen Haarschopf, den Knopfaugen und dem breiten Klappmund erinnern sie an die Protagonisten der Sesamstraße. Die sogenannten „Living Puppets“, kuschelige Handpuppen aus Stoff, wecken schon beim ersten Anblick die Sympathie des Betrachters. Das ist besonders wichtig für die Rolle, die ihnen die Hochschule Niederrhein zugedacht hat. Im Rahmen des Projekts „OurPuppet“ tüfteln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kompetenzzentrums „FAST“ zusammen mit weiteren Partnern aus Wissenschaft, Industrie und der Pflegewirtschaft an der Entwicklung einer interaktiven Variante der Stoffpuppe. Sie soll emotionale und gesundheitliche Zustände von Personen erkennen und kommunizieren. Ziel ist es, mit ihr die Lebensqualität von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen zu verbessern.
Energiebewusst zum Leben erwecken
Im Mai 2016 haben Prof. Dr.-Ing. Edwin Naroska, Experte für Technische Informatik, und sein Forscherteam in den Krefelder Labors der Hochschule Niederrhein mit der Arbeit an dem kleinen Pflegebegleiter begonnen. Sie entwickeln das Herzstück der Puppe: die Sensorik und Aktorik, sprich das System, durch das sie ihre Umgebung wahrnehmen und je nach Situation aktiv werden kann. „Wir erwecken die Puppe zum Leben“, drückt Naroska es aus. Besonders knifflig dabei: Die Puppe soll nicht nur kommunizieren können, sondern auch Emotionen erkennen, einordnen und auf sie reagieren. Augen- und Mundbewegungen, Mimik, Sprache und Spracherkennung – all das muss aus einem Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und Software umgesetzt werden.
Eine Herausforderung, an die die Forscherinnen und
Forscher kreativ und energiebewusst herangehen wollen. „Derzeit überlegen wir zum Beispiel, ob wir die Augen der Puppe anstatt mechanisch, mit Hilfe kleiner, digitaler Displays ähnlich denen von E-Book-Readern animieren können“, sagt Naroska. Das verleihe ihr ein vertrauensvolles Antlitz. Allerdings nicht zulasten der Energieeffizienz, die trotz umfangreicher Funktionalitäten gewährleistet sein muss. Im späteren Einsatz wird die Puppe daher mit einer zentralen Steuerung in der Wohnung digital verbunden, einem sogenannten Smart Home-Gateway, das die rechenintensiven Aufgaben übernimmt.
Den richtigen Ton wählen
Die Puppe selbst bleibt mobil, kann auf dem Sofa oder auf dem Bett sitzen, ins Esszimmer oder den Garten mitgenommen werden. Dort kann sie über eingenähte Sensoren und vernetzt mit Geräten und Anwendungen im Haushalt den Zustand der betreuten Person erfassen. Hat diese morgens das Licht im Bad betätigt? Ist der Raum zu dunkel oder die Musik zu laut? Sind ungewöhnliche Veränderungen in ihrer Stimme auffallend?
„Wenn eine Sprache undeutlicher wird oder mehr Atempausen als sonst gemacht werden, ist die Person vermutlich aufgeregt“, so Naroska. Das soll die Puppe über ein Mikrofon mit angeschlossener Sprachanalyse feststellen können. Denkbar ist auch der Einsatz von Armbändern, die den Puls messen und Hautveränderungen analysieren, um Angst, Traurigkeit oder Zufriedenheit zu erfassen. Je nachdem, was die interaktive Puppe erkennt, spricht sie den Pflegebedürftigen freundlich an und wirkt beruhigend auf ihn ein. Zum Beispiel, indem sie seine Lieblingsmusik abspielt.
Unterstützung für Pflegebedürftige und Pflegende
Die Idee, Puppen als Wegbegleiter bei der Betreuung pflegebedürftiger Menschen einzusetzen, ist nicht völlig neu. In bestimmten Pflegesituationen werden bereits seit Längerem Stofftiere verwendet. Allerdings mussten diese bisher von einer dritten Person, die als Puppenspieler fungiert, „belebt“ werden. „OurPuppet“ geht hier nicht nur technisch einen Schritt weiter, sondern definiert auch die Zielgruppe neu.
So geht es bei dem Projekt zum einen um die Unterstützung der Pflegebedürftigen, zum anderen um die Entlastung der Pflegenden. Insbesondere Angehörige, die Pflege, Beruf und Alltag verbinden müssten, hätten oft ein schlechtes Gewissen, wenn sie längere Zeit nicht vor Ort sind, so Naroska. Hier soll die Puppe Spannung abbauen, indem sie die Pflegebedürftigen beruhigen und im Notfall die Angehörigen sowie hilfeleistende Einrichtungen verständigen kann.
Partnerschaftlich arbeiten
In knapp zwei Jahren soll ein erster Prototyp fertig sein, schätzt Naroska. Bis dahin arbeiten er und seine Kolleginnen und Kollegen weiter intensiv an den technischen Details zur Zustandserfassung, Notfallerkennung, Kommunikation und Hilfestellung. Damit der freundliche Helfer am Ende all das zuverlässig beherrscht, bringen acht Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesundheitswesen ihr Know-how ein, unter anderem die TU Berlin, die Matthies Spielprodukte GmbH und der DRK-Kreisverband Bochum e. V. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
„Sicher ist die Puppe nicht für jeden geeignet“, sagt Naroska. Sie soll auch keine lebendige Pflegeperson ersetzen. Vielmehr wollen die Forscherinnen und Forscher mit „OurPuppet“ schwierige Situationen im Pflegeumfeld entschärfen helfen – mit einer modernen, mobilen Lösung, die einen im besten Fall auch mal zum Lachen bringt.
Kontakt
Hochschule Niederrhein
OurPuppet
Prof. Dr. Edwin Naroska
+49 (0)2151 822 4652
edwin.naroska@hs-niederrhein.de
Weitere Informationen
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/
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Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm