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Virtueller Lebensraum

Virtueller Lebensraum2021-05-26T13:06:07+02:00

360-Grad-Kameras machen Kunst-Installation unabhängig von Zeit und Ort erlebbar

Kunst erleben durch 360-Grad-Kameras

© Studio Tomás Saraceno

Am Ende waren es nahezu 150.000 Besucherinnen und Besucher, die sich in Düsseldorf auf die begehbare Installation des Künstlers Tomás Saraceno getraut hatten. 150.000 Mal Schweben und Schwingen im aufgespannten Netz unter dem Glasdach des K21 Ständehauses, 25 Meter freier Blick auf die Museumsbesucher im Innenhof, die Horizontale unterbrochen durch überdimensionierte Kugeln aus silbern schimmerndem PVC. Drei Jahre lang war „in orbit“, so der Name der 2.500 Quadratmeter großen Netzkonstruktion, für die Öffentlichkeit betret- und erfahrbar. Seit Juli 2016 ist das Exponat geschlossen und wird jetzt peu à peu abgebaut. Erleben lässt sich der Spaziergang zwischen Himmel und Erde jedoch weiterhin – mit Hilfe neuester Medientechnologie und der Vision eines Forschungsteams der Hochschule Düsseldorf (HSD).

Perspektivwechsel

Insgesamt sechs 360-Grad-Kameras benötigten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der HSD, um alle Perspektiven einzufangen, die sich innerhalb der Installation boten. In Spezialhalterungen an einem Helm befestigt und zu allen Seiten ausgerichtet, wurden mit ihnen an mehreren Stellen der Konstruktion Aufnahmen gemacht. Anschließend folgten die Synchronisierung der Videos, der Schnitt und die Verarbeitung zum Panoramafilm. Kreative und technische Unterstützung erhielt das Forschungsteam dabei von den Filmproduktionsfirmen LAVAlabs und Bewegtbildhelden. Finanziell wurde das Projekt zu Teilen durch das EU-Programm „Creative Europe“ gefördert. „Das Endprodukt können sich Interessierte über eine Virtual-Reality-Brille ansehen und so mitten in Saracenos Werk eintauchen“, sagt der Informatiker und Multimediaexperte Prof. Dr. Christian Geiger, der das Projekt mit initiiert hat. Etwas weniger spektakulär, aber ebenfalls faszinierend ist die virtuelle Begehung im Internet. Hier navigiert man seinen Blick, indem man den Cursor auf dem Video in die Richtung zieht, in die man schauen möchte.

Technisch ist das nicht mehr ganz neu. Rundumsichten via 360-Grad-Kameraaufnahmen gibt es bereits seit einiger Zeit, zum Beispiel online auf Video- oder Nachrichtenportalen. Selbst für die HSD war der Dreh des K21-Kunstwerks nicht der erste Perspektivwechsel. „Wir haben das auch schon für den Duisburger Zoo gemacht“, erzählt Geiger. „Wichtig und neu war diesmal der besondere Zugang zur Kunst und zu der Frage, wie wir ein Werk über die Dauer und den Raum seiner Ausstellung hinaus erlebbar machen können.“

Rezeption erweitern

Seinen „Orbit“ nach dem Abbau virtuell zu erhalten und per 360-Grad-Video auch für Menschen erlebbar zu machen, die aufgrund beispielsweise körperlicher Einschränkungen das Netz nicht begehen konnten, habe auch den Künstler dazu bewogen, dem Projekt zuzustimmen, so Geiger. Diese Gelegenheit, Technologie und Kunst zusammenzubringen, sei ein sehr wichtiger Beweggrund für die Umsetzung des Films gewesen.

Darüber hinaus stand im Zentrum des Forschungsinteresses die Idee, mittels neuer Technologien gesteigerte Teilhabemöglichkeiten zu untersuchen. „Jeder, der heutzutage ein modernes Smartphone besitzt, kann es mit einfachen Zusatzbauteilen als VR-Display nutzen“, sagt Geiger. Smarte Technik werde immer günstiger und eröffne dadurch neue Möglichkeiten der Rezeption. „Gerade im kulturellen Bereich fehlen häufig die Mittel, um in teure Technik zu investieren, die Kunst und Menschen näher zusammenbringen kann.“ Im Rahmen des „in orbit“-Virtualisierungsprojekts will das Forschungsteam nun verschiedene Brillen unterschiedlichster Komplexität und Preisklassen auf ihr Erlebnispotenzial testen.

Mit allen Sinnen

Eines jedoch kann auch der beste 360-Grad-Film noch nicht übertragen: den Nervenkitzel, der entsteht, wenn sich das Netz unter den Füßen bewegt, wenn es schwingt und so das eigene Bauchkribbeln zu einem Zeugen für das Zusammenspiel von Nervenbahnen, Resonanz und Kommunikation mit anderen mutigen Besucherinnen und Besuchern wird. Diese Intention des Künstlers versuchen Geiger und seine Kolleginnen und Kollegen ebenfalls mit technischen Mitteln erlebbar zu machen. Zum einen sollen die Bilder des virtuellen Orbits derart weiterentwickelt werden, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer in ihnen bewegen können. Zum anderen entwickelt das Projektteam derzeit eine Art Nutzerfläche, bei der ein Netz über den Boden gespannt ist. Darauf stehend soll das Gefühl vom Schwebezustand in der VR-Simulation erzeugt werden.

Ob das funktioniert, kann ein interessiertes Fachpublikum im Herbst auf einer Informationsveranstaltung in Räumlichkeiten und Labors der HSD ausprobieren. Bis dahin soll auch der 360-Grad-Film der „in orbit“-Installation auf einer entsprechenden Internetseite verfügbar sein. Geiger ist gespannt darauf, wie technikunterstützte Projektion und Kunsterlebnis zusammenwirken werden. In jedem Fall will er die Dynamik dieser Beziehung weiter erforschen. Im nächsten Jahr ist bereits ein Projekt mit dem Kindermuseum in Oslo geplant. Dann wird es um Lichtinstallationen gehen, die man durch Berührung verändern kann.

Kontakt
Hochschule Düsseldorf
InOrbitVR
Prof. Dr. Christian Geiger
+49 (0)211 4351 3265
geiger@hs-duesseldorf.de

Weitere Informationen
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/

Text
Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm

 

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