Westfälisches Energieinstituts legt nach intensiver Forschungsarbeit Positionspapier vor
Gelsenkirchen, den 06. Juli 2022. Die sich verschärfende Klimakrise kann nur durch eine verstärkte internationale Kooperation gelöst werden. Deutschland, mit einem Anteil von rund 2 % der weltweiten CO2-Emissionen, wird dazu nur einen marginalen Beitrag leisten können. Dennoch müssen wir als eines der reichsten Länder der Erde überproportionale Anstrengungen zur CO2-Neutralität unternehmen.
Die bisherigen Bemühungen waren dazu nicht in allen Bereichen hinreichend und die jetzt von der Ampel-Regierung neu ausgegebenen Ziele sind als hoch anspruchsvoll einzustufen. Das WEI sieht hier zum Erreichen der zukünftigen Ziele und dem dazu notwendigen weiteren Ausbau mit erneuerbaren Energien (EE) in Deutschland nicht unbeträchtliche Herausforderungen bei der Versorgungssicherheit mit Elektrizität. Dies gilt sowohl für die Flächen- und Energiespeicherbedarfe, genauso wie für die viel zitierten Wasserstoffszenarien. Der Ausbau mit EE muss auf jeden Fall von Brückentechnologien begleitet werden. Dazu zählen Erdgaskraftwerke im H2-ready-Format und/oder Biogasanlagen. Zusätzlich muss es zu einem wesentlich verbesserten Lastenverschiebungsmanagement und zum verstärkten Ausbau von Grenzkuppelkapazitäten kommen.
Versorgungssicherheit und Klimakrise
Die dabei zur Versorgungssicherheit womöglich dennoch auftretende zu geringe Menge an elektrischer Anschlussleistung mit Auslandsimporten zu lösen, sieht das WEI als problematisch an. Genauso wie die geforderte höhere Energieeffizienz sicher rational ist, ergeben sich aber auch hier mehr Fragen als Antworten. Dennoch wird Deutschland nach Einschätzung der Studie weiter ein Energieimportland bleiben. Selbst wenn für diesen Fall der Import von Kohle, Erdöl und Gas zukünftig verringert werden kann, so entsteht über den notwendigen riesigen Speicherbedarf an elektrischer Energie aus EE eine neue Importabhängigkeit von im Ausland regenerativ erzeugten Wasserstoff und Basiswerkstoffen für Batteriespeicher wie Kobalt und Lithium. Die deutsche Gasreserve würde im Falle einer reinen Wasserstoffwirtschaft nur noch 20 bis 30 Prozent der derzeitigen Erdgasreserve betragen können.
Will man hier im internationalen Austausch verhindern, dass vor allem die Schwellen- und Entwicklungsländer aufgrund ihrer schwierigen ökonomischen Herausforderungen ihre Energieversorgung über die – unter Vernachlässigen externer Effekte – kostengünstigen fossilen Energieträger decken, sondern mittel- bis langfristig aus eigener Kraft die Herausforderungen der Klimakrise angehen können, so sind diesbezüglich Exportmöglichkeiten für diese Länder zu schaffen. Da viele dieser Länder im Sonnengürtel der Erde liegen und enorme Windenergiepotenziale haben, bietet sich hier eine neue internationale Arbeitsteilung an, bei der dort grüner Wasserstoff erzeugt und nach Europa exportiert wird. Dazu müssen aber die reichen Länder entsprechende technische und finanzielle Unterstützungen bereitstellen.
Schutz einkommensschwacher Haushalte
Neben den vielfältigen und beträchtlichen Problemen bei der technischen Umsetzung der Energiewende in Deutschland müssen ebenso große sozioökonomische Herausforderungen bewältigt werden. Energie wird sich dauerhaft drastisch verteuern. Ohne Preissignale und eine Internalisierung negativer Effekte der konventionellen Energieerzeugung auf die Umwelt in die Kalkulationen wird es aber nicht zu notwendigen Verbrauchseinsparungen kommen.
Die unteren Einkommensschichten werden die Preiserhöhungen nur schwerlich stemmen können: Dies zeichnet sich bereits ab, selbst wenn Sondereffekte der Coronakrise und des Ukrainekriegs außen vorgelassen werden. Die politisch aufgesetzten Entlastungspakete der Regierung erweisen sich hier als halbherzig, nicht zielgenau und letztlich auch als ungeeignet, die Problematik dauerhaft zu lösen. Eine Symptompolitik und Sekundärverteilung sind hier nicht zielgerichtet und nur mit einer Beseitigung der Ursachen für niedrige Primäreinkommen angehbar. Es muss deshalb zu einer spürbaren Umverteilung zu Gunsten der Einkommensschwachen kommen. Dazu bedarf es zumindest einer verteilungsneutralen Tarifpolitik zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden.
Forderung nach Regulierung durch den Staat
Die für die Umsteuerung benötigten Investitionsbedarfe sind auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse nicht das größte Problem der Umsetzung der Energiewende. Tatsächlich müssen dazu die hohen deutschen Exportüberschüsse reduziert werden, was nicht leicht sein wird, weil davon zwei Wirkungen ausgehen: Erstens ein beträchtlicher Transformationsprozess in der deutschen Industrie, nicht nur in der Automobilindustrie, und zweitens Anpassungsprozesse in den Importländern. Ein Großteil der für die Energiewendeinvestitionen notwendigen Finanzmittel würde dann binnenwirtschaftlich zum Einsatz kommen und nicht mehr wie heute, unsere Exportüberschüsse finanzieren. Das Ausland hätte dadurch aber auch weniger kreditbasierte Importmöglichkeiten. Alternativ oder ergänzend könnte hier mit deutschem Finanzkapital in den Schwellen- und Entwicklungsländern eine Infrastruktur aufgebaut werden, um damit EE-Strom und Wasserstoff zu produzieren und für diese Staaten in einer beiderseitigen Win-Win-Lösung eine neue Wohlstandsquelle aufzubauen.
Ohne Lenkung und Regulierung durch den Staat und Interventionen wird die Energiewende nicht umsetzbar sein. Überdies wird eine Verschuldung des Staates unumgänglich sein, was aber nur generationengerecht ist. Daher bedarf es einer Suspendierung der Schuldenbremse zugunsten einer an den Zukunftsinvestitionen orientierten Schuldenbegrenzung. Zudem werden die hohen Einkommen und Vermögen von einer wesentlich höheren Besteuerung betroffen sein. Ohne die ergänzende Wiedereinführung der 1997 ausgesetzten Vermögensteuer und einer höheren Erbschaftsteuer wird die Energie- und Klimawende ebenfalls nicht gelingen.
Das Positionspapier ist unter https://www.w-hs.de/wei/aktuelles/positionspapier-zur-energiewende abrufbar.
Originalmeldung:https://www.w-hs.de/nachhaltigkeit/nachricht-lesen/news/detail/News/positionspapier-zur-energie-und-klimawende/
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