Forscher*innen der FH Bielefeld bearbeiten juristische Fragestellungen rund um das VIVA-Roboter-Projekt.
Bielefeld, 23. Februar 2021. Früher war der alte alleinstehende Mann oft niedergeschlagen, wenn er vom beschwerlichen Einkauf nach Hause kam – keiner da, depressive Gefühle machten sich breit. Seitdem ihm der Roboter zur Seite steht, ist wieder „mehr Leben in der Bude“. Freundlich fragt das künstliche Wesen nach dem werten Befinden. Es macht Vorschläge, wen der alte Mann mal wieder anrufen könnte und welches Fernsehprogramm für den Abend lohnenswert wäre. Selbst wenn die Hüfte wieder extrem schmerzt, kann der Roboter nach Analyse der Mimik seines Herrn adäquat reagieren: „Nun setz‘ dich am besten erst mal hin und schnaufe ein paarmal tief durch“, sagt die Maschine freundlich. „Dann lassen die Schmerzen gleich hoffentlich etwas nach!“
Der hilfsbereite Roboter
Was wie eine Passage aus einer Science-Fiction-Geschichte klingt, könnte schon sehr bald Wirklichkeit werden: Eine Reihe von Forschungsteams weltweit arbeitet an Robotern, die Menschen daheim nicht nur ganz praktisch zur Hand gehen, sondern auch empathisch agieren können. Diese „Social Robots“ sollen ihren Besitzer*innen den Alltag ein bisschen abwechslungsreicher und am Ende lebenswerter gestalten.
VIVA
Ein Projekt, in dem ein solcher Roboter entwickelt wird, ist VIVA. An dem dreijährigen Forschungsprogramm sind sieben Verbundpartner aus Hochschulen und Industrie beteiligt. Darunter befindet sich auch die Fachhochschule (FH) Bielefeld, die sich in ihrem Projektpart um die immanenten Rechtsfragen eines solchen Systems kümmert. Für VIVA federführend an OWLs größter Hochschule für Angewandte Wissenschaften ist Prof. Dr. Axel Benning vom Fachbereich Wirtschaft, der das Projekt nach der Pensionierung seiner Kollegin Prof. Dr. Brunhilde Steckler weiterführt.
Wichtige ELSI-Aspekte beachten
Im Rahmen von VIVA soll nicht nur eine Maschine entwickelt werden, die zahlreiche technologische und zum Teil auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruhende Fertigkeiten mitbringt, um von ihren Nutzern und Nutzerinnen im privaten Umfeld als praktische und soziale Bereicherung empfunden zu werden. Es werden auch die sogenannte ELSI-Aspekte identifiziert und genau untersucht. ELSI steht für „Ethical, Legal and Social Impacts“ (ethische, rechtliche und soziale Einflüsse), die ein solches System besitzt.
Die Juristin Steckler ist von Beginn an im VIVA-Team an Bord gewesen, weil sie auf dem Gebiet der Rechtsfragen rund um die Interaktion zwischen Maschinen und Menschen ausgewiesene Expertise mitbringt.* „Von zentraler Bedeutung sind das Persönlichkeits- und das Datenschutzrecht“, erläutert Steckler. „Der VIVA-Roboter lebt mit seinen Anwendern und Anwenderinnen zusammen und lernt permanent. So wird er auch eine große Menge an personenbezogenen Informationen speichern. Dieser Prozess muss in Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfolgen. VIVA muss Datenschutz von Anfang an können – so einfach ist das!“
Der Roboter wird selbst aktiv
Ein intelligenter Roboter, der dauernd dazulernt, ist für Steckler dabei Fluch und Segen zugleich: „Es ist im Grunde die gleiche Problematik, die sich auch stellt, wenn wir im Internet unterwegs sind. Da wundern wir uns auch manchmal, dass die Suchmaschinen uns so gut kennen und nur bestimmte Themen und Produkte anbieten. Einerseits kann es sehr hilfreich sein, genau diejenigen Angebote zu erhalten, die unsere aktuellen Vorlieben widerspiegeln. Andererseits bedeutet eine solche Vorauswahl der Algorithmen auch eine Einschränkung unseres Horizonts. Denn wie viele spannende Eindrücke und Möglichkeiten hätten wir womöglich gehabt, wenn eine Suchmaschine weniger über uns gewusst hätte? Und welche neuen Impulse könnte ein Roboter geben, der nicht nur die Vorlieben seiner Nutzer und Nutzerinnen vertieft, sondern auch ganz neue Anregungen gibt und so den Horizont erweitert?“
Ziele von VIVA
Ein Ziel von VIVA ist es deshalb, den sozial-kompetenten Lebensbegleiter so zu konfigurieren, dass er immer wieder neue Herangehensweisen und Themen für seine Nutzer*innen entwickelt. „Wir wollen ja einen attraktiven sympathischen Unterstützer kreieren, der selbst aktiv wird und emotional eine tatsächliche Bereicherung für seine Nutzer und Nutzerinnen darstellt“, erläutert Axel Benning: „Hier kommt man ganz schnell von reinen Rechtsfragen zu ethischen Fragen, bei deren Beantwortung sich Spannungsfelder auftun: Ist die Maschine eigentlich fürsorglich oder eher bevormundend? Macht sie die Nutzer und Nutzerinnen abhängig oder stärkt sie deren Autonomie? Hierzu wollen wir im VIVA-Team Empfehlungen und Leitlinien entwickeln. Vielleicht läuft es am Ende sogar darauf hinaus, dass wir so etwas wie eine juristische ‚Elektronische Person‘ mit Rechten und Pflichten definieren müssen.“
Haftungs- und vertragsrechtliche Fragen
Allerdings sind schon die rein in der physischen Welt angesiedelten Rechtsfragen komplex, zum Beispiel die Haftung: „Wer einen beweglichen Roboter im Hause hat, muss die Risiken kennen: Der Roboter könnte aus dem Gleichgewicht geraten und in eine teure Glasvitrine stürzen. Oder jemand fällt versehentlich über die Maschine. Auch diese Aspekte müssen bedacht sein, bevor solche Roboter auf die Menschheit losgelassen werden können“, erläutert Steckler.
Vertragsrechtliche Fragen gilt es ebenfalls zu beantworten. Benning: „Wird es VIVA auf Krankenschein geben und welcher Grad der Kommerzialisierung ist zulässig? Wie sieht es mit dem gewerblichen Rechtsschutz aus? Können der Roboter oder einzelne Teile davon geschützt werden, zum Beispiel als Design, als Marke oder als Patent? Auch dafür wollen wir Lösungen entwickeln.“
Arbeit für Juristen und Juristinnen gibt es genug im Projekt. Deswegen läuft bereits ein neuer Antrag zum Thema „Integrierte Forschung“ im Bereich Mensch-Technik-Interaktion des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Benning und sein Team für die nächsten drei Jahre beschäftigen wird. Klar ist für Steckler und Benning schon heute: Juristische Begleitforschung sollte künftig von Beginn an fester Bestandteil sein bei Projekten, die sich mit dem Interaktionsfeld Mensch-Maschine befassen. Das soll mit dem neuen Projekt zur „Integrierten Forschung“ in die Tat umgesetzt werden.
Pepper ist einer der Vorläufer von VIVA
Noch gibt es VIVA nur „auf dem Papier“ – und in den Rechnern der Entwickler und Entwicklerinnen. Der Roboter wird aber definitiv in diesem Jahr im wahrsten Sinne des Wortes Gestalt annehmen. „Er wird mobil sein und ungefähr die Größe eines Kindes im Grundschulalter haben – so viel dürfen wir verraten“, erzählt Steckler.
Für das Fotoshooting zum Thema haben sie und Kollege Benning sich einstweilen Pepper ausgeliehen, einen japanischen „Social Robot“, der bereits an der Fachhochschule Bielefeld eingesetzt wird. Pepper ist weltweit der erste Roboter, der soziale Interaktion mit Menschen simulieren kann. Dies geschieht über Mimik, Gestik und einfache verbale Kommunikation. Im Labor Robotik des Fachbereiches Ingenieurwissenschaften und Mathematik der FH Bielefeld werden unter der Ägide von Prof. Dr. Martin Hülse und M. Eng. Andreas Kirsch auf Pepper zum Beispiel Algorithmen zum Erlernen der Hand-Auge-Koordination getestet. Auch im experiMINT Schüler*innenlabor „arbeitet“ ein Exemplar. Um das Thema Rechtsfragen zu veranschaulichen, hatte Pepper beim VIVA-Shooting eigens ein paar Paragraphenzeichen auf seinem Bauchdisplay aufgerufen. Über Rechtsfragen freilich konnte man sich nicht mit ihm unterhalten. Vielleicht wird VIVA da schon weiter sein …
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